Heute Nachmittag bin ich gefragt worden, wie es mir so ohne Wald gehe? Eine gute Frage… Ich musste längere Zeit in mich hineinhören, um eine Antwort geben zu können, die mich zufrieden gestimmt hat. Und es war sehr gut, dass ich wirklich in mich gegangen bin, denn in mir drin habe ich wahrgenommen, dass dort viel Wald ist! ?

Ich habe festgestellt, dass in mir keine völlige Wald-Wildnis herrscht. Nichts ist zugewuchert. Vielmehr ist die Klarheit des Waldes in mir. Die Erfahrungen, die ich im Wald gewinnen durfte, stecken in mir. Ich habe den Wald mit in meinen „normalen“ Alltag hineingenommen und zwar in mir drin. Das ist mir in den letzten inzwischen fast zwei Wochen, in denen ich nicht mehr im Wald lebe, sehr bewusst geworden. Mir geht es gut, weil ich nicht ohne Wald bin!

Mit „Wald“ meine ich die Erfahrungen, die etwas in mir ausgelöst haben. Ein bisschen was davon habe ich Euch ja in den letzten beiden Blogs schon erzählt. Auf einem Abreiskalender im Haldenbüro ist mir heute ein Sprichwort aus Lappland entgegengesummt, das den Gedanken vom letzten Blog unterstreicht: „In jeder Mücke, die dich sticht, ertappst du Gott auf frischer Tat.“ Versucht das: in jedem, auch dem unbequemsten Gegenüber, Gott zu ertapp und damit die Verbindung zu allem, was ist. Wer das versucht, so bewusst wie möglich zu leben, kommt zu einem anderen Blick auf die Welt. Probiert es aus! Mich würde interessieren, was das mit Euch macht! Wenn Ihr wollt, erzählt es mir.

Und eine andere Wald-Erfahrung beeinflusst mein Leben hier ausserhalb des Waldes massgeblich: die Langsamkeit oder besser gesagt, der bewusste Umgang mit Zeit. Auch jetzt noch versuche ich, wenn es irgendwie geht, nicht zwei Dinge auf einmal zu machen. Heute Morgen habe ich mich allerdings dabei ertappt, dass ich eine Whatsapp-Nachricht geschrieben habe, während ich mit Eni unterwegs war. Es klappt nicht immer – ich bin mit mir nachsichtig, aber mache es mir dennoch immer wieder bewusst! Ich habe mir Möglichkeiten überlegt, mich auszutricksen. Zum Beispiel: Normalerweise nehme ich mein Handy nicht mit, wenn ich mit Eni spazieren gehe, um gar nicht erst in die Versuchung zu kommen.
(Für alle, die es wissen möchten: Eni geht es gut. Nachdem wir am 30. Juni abends daheim angekommen sind, hat sie sich erst einmal unter den Küchentisch gelegt und geschlafen. Die nächsten Tage musste sie sich erholen. Sie wollte nicht allzu weit laufen und hat vor allem Schlaf nachgeholt. Ich glaube, sie hat den Wald vermisst. Woran ich das festmache? Anfangs hat sie sich draussen nicht wirklich lustvoll bewegt. Auch wenn es rechts und links des Trottoirs so einiges zu erschnuppern – Maria sagt dem, sie lese Zeitung ? – gab, hat Eni das nicht wirklich in Überschwänglichkeit versetzt. Sobald wir aber den Wald betreten haben, war sie voll Energie. Und, ich muss für mich sagen, dass sich meine Beziehung zu Eni vertieft hat. Die gemeinsame Wald-Zeit verbindet uns tiefer. Das ist ein schönes Gefühl!)
Auch wenn mein Alltag gegenüber der Zeit im Wald an Geschwindigkeit zugelegt hat, so lege ich Wert drauf, eines ums andere, alles Schritt für Schritt zu machen. Ich versuche mich nicht hetzen zu lassen, weil ich gemerkt habe, wie gut ein entschleunigter Lebenswandel tut. Alles bewusst tun. Im Hier und Jetzt sein. Diese Lebensweisheit des Waldes, der Natur möchte ich weiter pflegen, weil mir dort tief bewusst wurde, dass alle Zeiten in Gottes Hand stehen.

Und eine dritte Wald-Erfahrung möchte weiter verinnerlichen: die Dankbarkeit. Ich muss zugeben, dass es mir immer noch schwerfällt, für die vielen, vielen Mückenstiche dankbar zu sein – und die Mücken waren am Waldplatz wirklich heftig unterwegs. Wahrscheinlich werde ich es nie schaffen, auch nicht wenn sie mir damit bewusst gemacht haben, dass ich dadurch Gott ertappe. Müssen es unbedingt Mücken sein? Ein Schmetterling hätte es doch auch getan!? ? Es hat ja niemand gesagt, dass Dankbarkeit einfach ist! Dankbarkeit verinnerliche ich mehr und mehr, indem ich ganz bewusst innehalte, wenn ich etwas erlebe, das mir gut tut oder wo jemand einer*m anderen Gutes tut. Wenn ich mich in der Natur auf Wiesen oder durch den Wald bewege. Wenn ich in den Medien von etwas Aufstellendem lese oder höre.
Und zutiefst dankbar bin ich natürlich für alle, die das Gallus Experiment unterstützt und mitgetragen haben: das Team der Cityseelsorge, das Seelsorgeteam im Südosten, die Brieftauben, Alessia (unsere Videografin), Ueli und Sandro (unsere Fotografen), alle Besucher*innen, alle Blogleser*innen, und alle, die mir zu Essen gebracht haben. DANKE!
Auch Dankbarkeit ist eine Lebenshaltung der Achtsamkeit, genauso wie Entschleunigung und Verbundensein – Lebenshaltungen, die verändern. Ich möchte das Gallus Experiment mit einem Zitat von Mahatma Gandhi schliessen, das zeigt, was der Kern des Experiments und (meiner Meinung nach) überhaupt der Kern von Glauben und Spiritualität ist: nämlich mit seinem eigenen Leben einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Welt ein guter und seelentiefer Ort für alle ist und auch in Zukunft bleibt. Und so wünsche ich Euch alles Gute und b’hüet Euch Gott! Und:

„Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“
Mahatma Gandhi

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